Eine bunte Gruppe von Menschen steht im Kreis und hält sich an den Händen. In der Mitte steht auf englisch: Das Gemeinschaftsgefühl.
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Das Gemeinschaftsgefühl

Die Gemeinschaft nimmt in der Lehre Adlers ein Schlüsselelement ein. Die Gemeinschaft ist maßgeblich bedeutsam für die Entwicklung des menschlichen Charakters. Jedes pathologische Symptom hängt nach Adler mit der Haltung eines Menschen zu seiner Umwelt zusammen. Er argumentiert das folgendermaßen:

Der Mensch ist auf die Gemeinschaft angewiesen, wie kein anderes Lebewesen. Das begründet sich allein schon aus seiner Biologie: Die Bedürftigkeit eines Säuglings veranschaulicht dies – kein Menschenkind wäre ohne die Gemeinschaft auch nur annähernd lebensfähig.

Allerdings beschränkt sich Adler mit seiner Argumentation nicht auf die Biologie – im Gegenteil. Die Besonderheit seines Ansatzes ist gerade die Abkehr von der biologistischen Persönlichkeitslehre. Und seine Hinwendung zu einer sozialen: Im Mittelpunkt stehen dabei soziale Werte und Gesetze. Eben diese werden für eine funktionierende soziale Gemeinschaft benötigt. Und eben dazu ist der Mensch – im Gegensatz zu anderen Lebewesen, fähig. Er hat die Naturtriebe gezähmt. Ist nicht mehr Opfer, sondern Herrscher über die Naturkräfte. Und zeitgleich angewiesen auf die Gemeinschaft, auf einen Platz im sozialen Gefüge.

Die eiserne Logik des menschlichen Zusammenlebens

Im Common Sense der Wissenschaft (damals wie heute) ist gesund was normal ist und normal was der Norm entspricht. Die Norm ergibt sich aus dem durchschnittlichen Verhalten der Bevölkerung oder einer Gemeinschaft. Als ungesund wird abnormales Verhalten bezeichnet, also ein der gesellschaftlichen Norm abweichendes Verhalten. Dass diese Definition problematisch ist, wird nach wie vor breit diskutiert. Auch für Adler war sie das, weshalb er einen grundlegenden Maßstab vorgeschlagen hat, der sowohl Einzelpersonen, als auch Gruppen und Nationen zur Orientierung dienen könnte: die eiserne Logik des menschlichen Zusammenlebens, dessen Grundlage die Anerkennung voller Gleichwertigkeit aller Menschen bildet.

Minderwertigkeits- vs. Gemeinschaftsgefühl

Der Selbstwert nimmt nach Adler eine tragende Rolle für das Gemeinschaftsgefühl ein. Letzteres ist nicht angeboren, sondern nur angelegt – inwieweit diese Anlage ausgelebt wird, hängt damit zusammen wie wertvoll wir uns selbst fühlen. Je wertvoller wir uns fühlen, desto mehr sind wir in der Lage diesen Wert auch nach außen hin – in die Gemeinschaft – auszuweiten. Je weniger Wert wir für uns Selbst empfinden, je größer die Zweifel an uns selbst sind, desto geringer ist auch unser Gemeinschaftsgefühl.

Gemeinschaft und Sinn

Adler zufolge haben viele von uns denn Sinn des Lebens vermeintlich verloren und meinen ihn irgendwo im Außen oder im Innen finden zu müssen. Durch Erfolge, Status, befriedigte Eitelkeit usw. Oder aber, indem sie auf die Suche nach sich selbst gehen, mit der Vorstellung sich selbst zu finden – im Yoga Ashram in Indien oder im buddhistischen Schweigekloster würde man heute sagen. Was daraus jedoch folgt ist ein permanentes Kreisen um uns selbst. So dass wir nicht mehr in der Lage sind, gemeinschaftsdienlich zu handeln. Unsere Stärken der Welt und den Menschen um uns herum zur Verfügung zu stellen. Unsere Lebensaufgaben zu meistern. Adler sieht den Sinn des Lebens – anders als Viktor Frankl – ganz praktisch, im Dienst an der Gemeinschaft. In diesem Sinne sagt Adler:

»Was wir sind, zeigen wir nur, in dem was wir tun.«

Es ist für unser Glück und unsere Zufriedenheit nicht förderlich, allzu lange innezuhalten und sich selbst zu suchen weil wir auf diesem Wege nicht rausfinden können wer wir sind. Solange wir nur in der Beobachterposition verharren, stagnieren wir. Nur wenn wir handeln, zeigt sich wer wir sind.

Gleichzeitig können wir aber nur im Dienste der Gemeinschaft handeln, wenn wir unseren Wert nicht an diesem Handeln festmachen. Sondern unseren Wert als gegeben annehmen. Unseren Selbstwert. Der ist nämlich längst da. Und muss nicht erst gefunden oder verdient werden. Diesen Wert eben dann in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen und daraus Sinn zu ziehen, darum geht es Adler in seinem Konzept des Gemeinschaftsgefühl.

Siehe dazu meine Reflektionen in: Haltung statt Heilung

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