Definitionen & Begriffe,  Theorien & Konzepte

Was ist eine Philosophische Praxis?

Eine Philosophische Praxis versteht sich als Erfahrungsraum von angewandtem Denken. Manch einer bezeichnet sie als alternative zum klassischen Heilkonzept der Psychotherapie. Dabei geht es der Philosophie aber nicht um Heilung, sondern um Haltung. Um die individuelle Haltung zu sich und seiner Umwelt. Um die Art und Weise, wie Menschen mit der Welt und ihrem eigenen Leben – mit all den Wiedersprüchen, Schicksalen und Eingebundenheiten – umgehen. Und warum.

Die Philosophie gibt uns ein Werkzeug an die Hand, mit denen wir gesellschaftliche Normen, familiäre Prägungen und verinnerlichte Leitbilder analysieren, dekonstruieren und schließlich überprüfen können. Um sie gegebenenfalls mit eigenen, authentischen Werten und Zielen zu ersetzen. Und damit sich Selbst zu rekonstruieren. Oder zu entfalten. Ohne dabei die Eingebundenheit im großen Ganzen zu verlieren.

Die philosophische Praxis reflektiert Individuum und Gesellschaft um Gemeinschaft zu bilden und Schatten und Licht um Farben zu kreieren. Denn das Leben ist bunt.


Philosophie ist Lebenskunst

Im Gegensatz zum psychologistischen wird der Mensch im philosophischen Sinne in seinem individuellen Sein und nicht in psychologischen Diagnosen verstanden. Er wird nicht mit pathologischen Etikettierungen sondern vielmehr mit erkenntnistheoretischen Ansätzen interpretiert.

Ein Psychotherapeut diagnostiziert um zu behandeln. Eine Philosophin fragt, um zu verstehen. 

Menschen, die eine Philosophische Praxis aufsuchen, wollen verstehen und verstanden werden. Sie suchen nach Erkenntnis. Als Treibstoff für ein gelingendes Leben. Dabei erkennen sie Ihre eigene Verantwortung im Leben an. Sie wollen nicht gelebt werden sondern aktiv Sein. Sie wollen sich Klarheit über ihr Selbst verschaffen, um eben dies zu verwirklichen: Woher komme ich? Was tue ich gegenwärtig? Und wohin will ich mich entwickeln?


In der philosophischen Praxis geht es um Haltung und nicht um Heilung.

Mehr dazu: Haltung statt Heilung


In welchen Situationen eignet sich der Besuch einer philosophischen Praxis?

Vorab sei gesagt, dass es keinen spezifischen Anlass für den Besuch einer philosophischen Praxis braucht. Michael Niehaus etwa, spricht in diesem Zusammenhang vom „anlasslosen Gespräch“ – die perfekte Grundlage, um vermeintliche Selbstverständlichkeiten philosophisch zu hinterfragen und sich damit auf neues Erkenntnisterrain zu begeben.

Dennoch hat sich in der Praxis eine bestimmte Zielgruppe etabliert, deren Anlass in verschiedenen Motiven besteht. Beispielhaft sei genannt:

Suche nach Lebenssinn

Es gibt immer wieder Situationen im Leben, indem uns der Sinn abhanden gekommen scheint. Das ist häufig nach Trennungen der Fall, nach Verlusten oder anderen tiefgreifenden Veränderungen. In einer philosophischen Praxis werden existenzielle Fragen reflektiert um den allgemeinen Lebenssinn zu rekonstruieren oder zu vertiefen.

Entscheidungsfindung

Insbesondere Personen, die vor wichtigen Entscheidungen stehen oder sich in Lebensübergängen befinden, können von philosophischen Praxen profitieren. Philosophische Reflexionsprozesse können bei der Klärung von Werten, Zielen und Handlungsoptionen unterstützen.

Selbstreflexion aus Lust an der Erkenntnis

Die Gründe für einen Besuch in einer philosophischen Praxis müssen nicht immer zweckrational sein. Menschen, die an Selbstreflexion und persönlicher Entwicklung interessiert sind, können durch philosophische Reflexion neue Perspektiven gewinnen und ihre eigenen Überzeugungen hinterfragen.

Krisenbewältigung

Personen, die mit persönlichen Krisen, Trauer oder schwierigen Lebenssituationen konfrontiert sind, können in philosophischen Praxen einen Raum für Reflexion und Unterstützung finden. Oft benötigen existenzielle Krisen keine Therapie, sondern lediglich tiefgründige Gespräche.

Interesse an philosophischen Themen

Manchmal ist es auch ein generelles Interesse an der Philosophie oder das Bedürfnis, sich mit philosophischen Themen gezielter auseinander zu setzen, was den Besuch einer philosophischen Praxis motiviert. Die Philosophische Praxis versteht sich als offener Raum, der individuell genutzt werden kann.


Eine Philosophische Praxis baut auf der Eigenverantwortung

Mehr dazu: Freiheit, Schicksal und Verantworung


Für wen oder in welchen Fällen ist eine philosophische Praxis nicht geeignet?

Bei ernsthaften psychischen Erkrankungen mit Therapiebedarf gerät die Philosophie an ihre Grenzen. Das liegt in erster Linie in der Definition der Sache: Der Krankheitsbegriff selbst steht in der Philosophie zur Debatte. Was bedeutet Krankheit? Was Gesundheit? Ist es ein Zeichen von Gesundheit angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein? Was macht eine Gesellschaft krank? Wie ist das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft?

Die Philosophie leugnet dabei keine Krankheit, weder körperlich noch psychisch. Sie verfolgt nur nicht den Anspruch der Heilung. Wer also eine Diagnose und entsprechende Behandlung benötigt, sollte daher zusätzlich therapeutische oder medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.

Philosophische Praxis dient nicht als Ersatz für psychotherapeutische oder medizinische Behandlungen, sondern als präventive Alternative. Sie bietet einen einzigartigen Raum für philosophische Reflexion und kann damit dazu beitragen, die eigene Resilienz zu fördern um mit Schicksalsschlägen oder Erkrankungen zukünftig besser umgehen zu können. In akuten Fällen medizinisch heilen kann sie aber nicht.


Übernimmt die Krankenkasse die Kosten für eine philosophische Praxis?

Nein. Da es in der Philosophischen Praxis nicht im um Heilung sondern um Haltung geht, können die Sitzungen nicht von der Krankenkasse übernommen werden und müssen privat bezahlt werden. In der Regel ist eine Einzelsitzung jedoch auch nicht viel teurer als eine professionelle Massage oder der regelmäßige Besuch im Fitnessstudio. Es handelt sich also um eine Investition in die Selbstfürsorge, die sich in jedem Fall auszahlt.

Im professionellen Kontext kann eine Reflexion in der Philosophischen Praxis jedoch steuerlich geltend gemacht werden. Bitte sprechen Sie diesbezüglich mit Ihrem Steuerberater.


Psychosen und Neurosen in der Philosophischen Praxis

Mehr dazu: Neurosen und Psychosen


Seit wann gibt es die Philosophische Praxis und woher kommt die Idee?

Philosophie als Lebenskunst zu betreiben geht bereits auf die griechische und römische Antike zurück. Insbesondere die Lehren Epikurs, der Stoa aber auch der Skeptizismus geben uns Einblicke in die praktische Philosophie und ein Konzept der Lebenskunst. In späteren Epochen scheint sich dieser Anspruch im Selbstverständnis der Philosophie aber stark verändert zu haben – ähnlich wie in der Wissenschaft. Philosophie als Geisteswissenschaft ist heute überwiegend durch die Aufklärung geprägt und im akademischen Sinne sehr isoliert. Weltfremd könnte man meinen, im Elfenbeinturm verschanzt. Aber es gibt Ausnahmen. Wie etwa der Existenzialismus, der dem praktischen Anspruch von Philosophie im lebensnahen Sinne stets treu geblieben ist.

Die Psychoanalyse Freuds, die heute als Psychotherapieform kontrovers diskutiert wird, ist meines Erachtens nach ursprünglich Erkenntnistheorie. Weshalb sich schon früh einige wenige Philosophen mit den psychoanalytischen Lehren auseinander setzten. Und so wundert es nicht, dass es einige philosophische Strömungen gibt, die sich heute am besten im Zwischenraum von Philosophie und Psychologie ansiedeln lassen. Wie das etwa bei der Existenzanalyse von Viktor Frankl der Fall ist.

Es handelt sich hierbei aber ohne Frage um Ausnahmen, weshalb die Philosophie in lebenspraktischen Angelegenheiten, insbesondere im Beratungssektor leider immer noch viel zu unterrepräsentiert ist.

Die erste Philosophische Praxis wurde 1981 von Gerd. B. Achenbach gegründet, der bis heute erfolgreich praktiziert und lehrt. Vielleicht haben wir es ihm zu verdanken, dass sich die philosophische Form der Lebensberatung immer weiter durchzusetzt. Nicht nur im privaten, sondern auch im unternehmerischen Bereich. Mehr erfahren…

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